„Very important paper“

Grazer Forscher fanden Weg für nachhaltigere Medikamentenproduktion

Die Medikamentenproduktion ist heute noch häufig mit chemischen Prozessen mittels toxischer Schwermetalle verknüpft. Das Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) und die Universität Graz haben nun einen Weg gefunden, die industrielle Herstellung von Medikamenten, aber auch von Geschmacks- und Aromastoffen und Biopolymeren umweltfreundlicher zu gestalten: Der neue biokatalytische Syntheseweg nutzt Enzyme als Reaktionsbeschleuniger.

red/Agenturen

Zusammen mit einem neuen Such- und Untersuchungsverfahren für Enzyme sollen Produkte schneller und wesentlich günstiger produziert werden als bisher. Das Verfahren werde auch bereits in der Praxis angewendet: Die steirische Firma bisy sucht mit der Methode neue Enzyme für Kunden weltweit, hieß es in einer Aussendung des acib.

Bisher war die Medizin- und Pharmaindustrie bei der Herstellung von Medikamenten oft auf gesundheits- und umweltschädliche Chemikalien angewiesen. Meist handelt es sich dabei um Schwermetalle, die als Katalysatoren unterschiedlichste chemische Reaktionen in Gang setzen oder beschleunigen. „Schwermetall-Verbindungen sind hochreaktiv. Außerdem arbeiten diese Reaktionen unter hohen Temperaturen und in Gegenwart von organischen Lösungsmitteln. Dadurch fallen unerwünschte Nebenprodukte an, die kostenintensiv als Müll entsorgt werden müssen“, erklärte Wolfgang Kroutil vom acib und dem Institut für Chemie an der Universität Graz die Beweggründe der Forschung.

Der gefundene biokatalytische Weg ermögliche der Industrie eine umweltfreundlichere und raschere Entwicklung von Medikamenten: „Aus der Forschungsliteratur wussten wir, dass es in der Natur Biokatalysatoren gibt, die Reaktionen ermöglichen, die die etablierte Schmermetallkatalyse nicht kann. Deshalb haben wir uns in der Natur umgeschaut, welche Werkzeuge sich für biokatalytische Prozesse eignen würden“, so Kroutil. Er und sein Team entwickelten eine biokatalytische Reaktion, die als einziges Reagenz kostengünstiges und leicht zugängliches Wasserstoffperoxid verwendet. „Hierfür mussten wir allerdings zuerst einen Biokatalysator, also ein Enzym finden. Wir testeten über 4.000 Enzymvarianten im Labor auf ihre Eigenschaften“, schilderte der Forscher.

„Very important paper“

Alexander Swoboda, Dissertant in Kroutils Team, und Katharina Ebner, Forscherin der bisy GmbH, machten schließlich die entscheidende Entdeckung: „Wir konnten in einem Set von 44 Pilzenzymen Biokatalysatoren nachweisen, die in der Natur wahrscheinlich dazu da sind, schwerabbaubare Holzbestandteile wie Lignin abzubauen. Nur wussten wir bisher nicht, dass diese Enzymklasse der unspezifischen Peroxygenasen (UPOs) ebenso biokatalytische Hydroxylierungen durchführen kann, die über klassische chemische Wege bisher nicht umsetzbar waren“, so die Forscher erstaunt. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Zeitschrift Angewandte Chemie als „Very important paper“ publiziert.

Dem Ganzen geht aber noch ein wichtiger Prozess voraus: Bevor die von Pilzen abstammenden Enzyme als Reaktionsbeschleuniger für die industrielle Entwicklung von Medikamenten eingesetzt werden können, müssen sie zuerst auf ihre sogenannte Enantiopräferenz getestet werden, das heißt auf ihre Fähigkeit, zwischen Enantiomeren zu unterscheiden. Bei Enantiomeren handelt es sich um Atomgruppen eines Moleküls, die räumlich zueinander wie linke Hand und rechte Hand angeordnet sind, aber ansonsten in ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften ident sind. Der Unterschied ist aber entscheidend, denn man könne sich das wie beim Händeschütteln vorstellen: Während wir die rechte Hand zum Gruß hinstrecken, erwarten wir, dass das Gegenüber uns ebenso die rechte Hand gibt. Die linke Hand hingegen würde für Irritationen sorgen. Übersetzt für Medikamente heißt das, dass das falsche Enantiomer sogar toxisch sein könnte. „Wir müssen daher die Präferenz eines Enzyms herausfinden. Nur so kann das richtige Medikament hergestellt werden und nur dann können sich Körper und Medikament die 'richtige Hand' geben und das Medikament seine Wirkung entfalten“, erklärte Kroutil.

Weltweit einzigartiges Know-how

Die schnelle Bestimmung der Enantiopräferenz sei aber eine Herausforderung, so Swoboda. Untersuchungsverfahren wie spektrofotometrische Hochdurchsatzscreenings seien in der Biokatalyse bisher selten durchgeführt worden. „Das ist besonders für kleinere Firmen sehr wichtig, da diese Verfahren auch ohne teure Analysegeräte durchgeführt werden können“, sagte Anton Glieder, Gründer der Firma bisy GmbH in Gleisdorf. Daher habe man auch ein neues Such- und Untersuchungsverfahren für Enzyme entwickelt: „Der enantioselektive Hochdurchsatz-Test macht es möglich, in wenigen Tagen und nicht wie sonst Wochen die Nadel im Heuhaufen zu finden, in unserem Fall einen Biokatalysator für eine spezifische Anwendung, und diesen Biokatalysator auf seine Eigenschaften zu testen“, so Kroutil.

Die bisy GmbH sei übrigens derzeit weltweit die einzige Firma, die in der Lage ist, diese Enzyme im Kilogramm-Maßstab herzustellen und für Kunden verfügbar zu machen. Damit könnten Firmen weltweit ihre Substrate und Reaktionen testen und neue Produkte in kürzerer Zeit auf den Markt bringen - von Pharmazeutika reicht die Palette über Geschmacks- und Aromastoffe bis hin zu Biopolymeren.

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