Behinderte: Bisher „arbeitsunfähige“ Jugendliche erhalten AMS-Zugang
Jugendlichen und Personen unter 25 Jahren, die bisher wegen fehlender Arbeitsfähigkeit keinen Zugang zum Arbeitsmarktservice hatten, soll dieser nun ermöglich werden. Die Bundesregierung hat am Mittwoch einen Ministerratsvorschlag beschlossen, mit dem junge Menschen nicht vorzeitig als arbeitsunfähig erklärt werden. Damit können die Betroffenen vom AMS betreut werden und die Dienstleistungsangebote des Arbeitmarktservices nutzen. Die Neuerungen sollen 2024 in Kraft treten.
Arbeitsunfähigkeit würde derzeit sehr früh festgestellt, Betroffene dann langfristig vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, so Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch (Grüne), der die Maßnahme gemeinsam mit Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) und dem Generalsekretär der Lebenshilfe Markus Neuherz im Pressefoyer nach der Regierungssitzung bekannt gab. Mit der Anhebung der verpflichtenden Überprüfung der Arbeitsfähigkeit auf 25 Jahre gebe man jungen Menschen mehr Zeit für die Entwicklung ihrer Fähigkeiten und zur Integration in den Arbeitsmarkt. Der Gesetzesentwurf geht noch diese Woche in Begutachtung, im Herbst soll der Beschluss im Nationalrat erfolgen. In Kraft treten werden die Neuerungen dann mit 1. Jänner 2024.
Auch soll damit der Bezug von Arbeitslosengeld ermöglicht werden. Bisher stellte sich das Problem, dass Personen, die von der Pensionsversicherungsanstalt als „arbeitsunfähig“ eingestuft werden, grundsätzlich nicht von den Services des AMS erfasst werden. Damit können Betroffene nicht an Schulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen des AMS teilnehmen. Das betrifft auch Jugendliche bzw. Personen unter 25 Jahren mit gewissen körperlichen bzw. intellektuellen Behinderungen. Auch besteht dann kein Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Als Ausweg blieb bisher laut Informationen der Bundesregierung nur die Hilfeleistung nach den Landesbehindertengesetzen, da das AMS an die Beurteilung der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) gebunden ist. Sobald diese Jugendlichen im Bereich der Behindertenhilfe der Länder platziert sind, sei die Rückkehr in Richtung Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt schwierig, so die Regierung.
Positiv sah Neuherz die Maßnahmen, würden diese doch seit langem von der Behindertenbewegung gefordert. Durch die verpflichtende Überprüfung der Arbeitsfähigkeit habe sich der Übergang von der Schule in den Beruf für Jugendliche mit Behinderung bis dato schwierig gestaltet - „oft in Richtung Abstellgleis“. Das Ende dieser Diskriminierung sei allerdings nur ein erster Schritt, pochte Neuherz etwa auf inklusive Bildung, Hilfe beim Jobeinstieg und fairen Lohn.
Ziel: „Lohn statt Taschengeld“
Geschaffen werden soll auch eine bessere Datenlage zur Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderung. Dazu sollen etwa Befragungs-und Verwaltungsdaten miteinander verknüpft werden. „Lohn statt Taschengeld“ erklärten die Minister indes zum langfristigen Ziel. Während Menschen mit Einschränkungen etwa in gemeinnützigen Betrieben Lohn erhalten und damit sozialversichert sind, bekommen jene, die etwa in einer Einrichtung der Lebenshilfe arbeiten, nur ein Taschengeld, führte Rauch aus. Hierzu habe man eine Studie in Auftrag gegeben.
„Ich finde es sehr wichtig, dass wir ein großes Augenmerk auf diese Gruppe richten. Es geht darum, alle mitzunehmen“, sagte Kocher. Nicht die Behinderung solle schließlich im Mittelpunkt der Diskussion stehen, sondern „das, was diese Menschen leisten können“, meinte Rauch. So seien in seinem Ressort auch die Mittel für diesen Sektor erhöht worden - mit 340 Millionen Euro stehen nun 30 Millionen mehr als im letzten Jahr zur Verfügung.
Alle Maßnahmen des Sozialministeriumsservice sowie des AMS für arbeitsfähige Arbeitssuchende können herangezogen werden, um diesen Personen eine Beschäftigung am regulären Arbeitsmarkt zu ermöglichen, teilte Heike Grebien, Sprecherin der Grünen für Menschen mit Behinderungen, in einer Aussendung mit. Darüber hinaus sollen auch neue Angebote entwickelt werden. Sie zeigte sich „überzeugt, dass wir damit arbeitsunfähigen Jugendlichen durch Maßnahmen wie dem Jugendcoaching eine gute Begleitung am Arbeitsmarkt möglich machen.“ Erfreut reagierte auch Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP): „Ich freue mich sehr, dass wir mit dem heutigen Schritt mehr jungen Menschen die Möglichkeit geben, ihr Leben selbstständig zu bestreiten und dieses Erlebnis des selbst etwas Schaffens ermöglichen“, wird sie in einem Statement gegenüber der APA zitiert.
NEOS-Behindertensprecherin Fiona Fiedler begrüßte die beschlossene Regelung als „ersten wichtigen Schritt in Richtung inklusiver Arbeitsmarkt“. Sie vermisst aber entschlossenere Schritte in Richtung „Lohn statt Taschengeld“. „Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf ein freies und selbstbestimmtes Leben und sollten nicht mit Taschengeld abgespeist werden.“ Auch müsse vor allem im Bildungsbereich noch sehr viel mehr weitergehen, so Fiedler.
„Grundsätzlich erfreut“ zeigte sich Volksanwalt Bernhard Achitz (SPÖ) von der Ankündigung. „Das entspricht einer Forderung der Volksanwaltschaft aus dem Sonderbericht 'Keine Chance auf Arbeit - Die Realität von Menschen mit Behinderung'.“, sagte er in einer Aussendung. Die Details werde man bewerten, sobald ein Gesetzesentwurf vorliegt. „Schon jetzt stellt sich aber die Frage, warum die Regierung nur für Jugendliche endlich eine Lösung vorsieht, nicht aber für erwachsene Menschen mit Behinderung“, sagte er.