Ärzte für Menschen
Ärzte für Menschen

„Wir sind durchaus große Idealisten!"

Konzertbesuch, Museum oder gar Urlaub machen trotz Krankheit, die eigentlich medizinische Betreuung braucht? Eine ordentliche Portion Idealismus sowie die große soziale Komponente waren treibende Kraft bei der Gründung des Vereins „Ärzte für Menschen“, der genau das im Sinn hat. Dahinter stecken zwei passionierte Ärztinnen, Martina Wölfl und Susanne Biowski-Frotz, die Lust hatten, wieder „was Gscheites“ anzupacken. Gesagt, getan: Ab sofort geht der Verein „in medias res“. medinlive hat mit der Vereinspräsidentin und Gründerin Martina Wölfl gesprochen.

Eva Kaiserseder

Internistin und leidenschaftlich ihrem Beruf verbunden ist sie, unter anderem gründete sie die allererste heimische Gruppenpraxis vor nunmehr fast 20 Jahren. Im Mai hat sie den Verein „Ärzte für Menschen“ aus der Taufe gehoben, ein absolutes Herzensprojekt, wie man sofort merkt, wenn man Martina Wölfl zuhört. Was sie sich für selbiges wünscht und warum sie fest von dessen Erfolg überzeugt ist, erzählt sie im medinlive-Gespräch.

medinlive: Wessen Idee war das Ganze ursprünglich und wie hat sich der Entstehungsprozess gestaltet?

Wölfl: Es war meine Idee, die aus jahrelanger Praxiserfahrung heraus gewachsen und entstanden ist. Man hat natürlich Freunde und Mitstreiter, mit denen man besonders gut „kann“, in meinem Fall war das Susanne Biowski-Frotz, mit der ich auch beim Berufsverband (BÖI, Berufsverband Österreichischer Internisten, Anm.) schon gerne zusammengearbeitet habe. Und auch bei dieser Idee waren wir sofort auf gleicher Wellenlänge und haben gesagt, gut, machen wir das, noch einmal was richtig Gscheites, Großes vor der Pension (lacht). Sie ist heuer 60 geworden, ich 57, wir werden mittelfristig die Ordistunden reduzieren und dann schauen wir einmal, wie unsere Idee ankommt.

medinlive: Wie erklären Sie jemandem, der noch nie etwas davon gehört hat, was der Verein tut?

Wölfl: Ich habe in über 30 Jahren in der Praxis immer wieder die gleiche Antwort auf die Frage „Warum machen Sie denn das nicht?“ gehört, nämlich: „Ich traue mich nicht, ich schaffe das nicht alleine. Aber Frau Doktor, wenn SIE das mit mir machen würden-sofort!“ Und dann habe ich mir einfach gedacht, warum eigentlich nicht wirklich gemeinsam etwas auf die Beine stellen. Die Leute haben ihre Grenzen erreicht, egal ob nach schweren OPs, mit Krebserkrankungen oder als Dialysepatient, gerade da kommt man oft gar nicht mehr richtig raus aus dem Trott. Und wenn ich ihnen helfen kann, diese Grenzen zu erweitern- dann mache ich das gerne.

medinlive: Wie kann man sich dieses Angebot konkret vorstellen? Es gibt ja zwei Modelle, die der Verein anbietet, soweit ich weiß.

Wölfl: Genau. „Need a doc“ ist für diejenigen gedacht, wo es eine medizinische Indikation gibt, die einen Arzt brauchen. Da schauen wir uns das Familieneinkommen an und federn bei Bedarf die Kosten ab – oder im Rahmen einer Kooperation etwa mit der Caritas oder der Stiftung Kindertraum, übernimmt das der Partner. Diejenigen, die einfach die Sicherheit einer ärztlichen Begleitung möchten, also keine medizinische Indikation haben, die können diese Leistung bei uns erhalten. Ein Beispiel: Ein 70jähriger Patient mit Klappenersatz traut sich seine 90jährige Mutter in Brüssel nicht mehr besuchen, außer ein Arzt kommt mit. Er würde dann Flug und Zimmer bezahlen und ein Arzt wird abgestellt, der ihn begleitet. Ich denke, es ist oft so, dass die Leute nur einen kleinen Schubser brauchen, um sich etwas zu trauen, und diesen Schubser können wir ihnen geben. Die soziale Komponente ist dabei etwas, das mir sehr gefällt.

Oder: Eine Dame, die im AKH Patientin war, wollte unbedingt auf das Rammsteinkonzert gehen. Wir haben hier mit Prof. Watzke einen feinen Kontakt (Herbert Watzke, Professur für Palliativmedizin an der Medizinischen Universität Wien, Anm.) und er hat jemanden gesucht, der der Patientin diesen Wunsch erfüllen kann. Und tatsächlich hat das funktioniert, die Dame hat sich sehr gefreut, hat das Ticket bezahlt und man sieht, so einfach kann es sein.  Es gibt genügend Ärztinnen und Ärzte, die das machen würden, viele von uns sind durchaus große Idealisten, ich übrigens auch. In meinem eigenen Bekanntenkreis merke ich ja, es gäbe genügend Interesse, wir wollen dieses Interesse bündeln und vernetzen. Aus organisatorischer Sicht müssen diese Mediziner übrigens eine Haftpflichtversicherung haben.

medinlive: Ich habe mit dem Verein sofort das Wort Zivilcourage assoziiert. Was bedeutet das Wort umgelegt auf diese Idee für Sie?

Wölfl: Etwas, was in der Gesellschaft vielleicht nicht üblich, aber auf jeden Fall gut und wichtig ist, trotzdem durchzuziehen. Ich hab schon Etliches gemacht, für das ich belächelt wurde, zum Beispiel die allererste Gruppenpraxis in Österreich gegründet, und zwar am 1. April 2000. Ab 1997 habe ich dafür gekämpft und wurde selbst in der eigenen Kollegenschaft dafür kritisiert und skeptisch angeschaut. Und es hat schlußendlich gut funktioniert. Jetzt ist wieder so ein Punkt erreicht, wo ich mir denke, ich mache das einfach, weil ich daran glaube. Was soll schon groß schiefgehen? Ärzte werden ja gerne einmal mit Geldmacherei assoziiert und, ich würde sagen, verunglimpft, aber das sind wir nicht, sehr viele von uns, auch ich, ticken anders. Der Verein wird auch funktionieren, wage ich als Prognose zu behaupten, weil es genügend Ärzte gibt, die eben nicht auf Geldmacherei aus sind.  

medinlive: Woher kommt ihr eigener Idealismus?

Wölfl: Ich weiß es nicht genau, aber ich bin ich so aufgewachsen, mit viel Optimismus und mit einer großen Portion Zutrauen, dass das, was man anpackt und macht, auch gutgehen wird. Und ja, eigentlich ist alles, was ich angefangen habe, gut geworden. Und auch jetzt bin ich mir sicher, dieses Projekt wird ein schönes werden.

medinlive: Haben Sie ihre Patientinnen und Patienten schon eingeweiht, gibt es eine Warteliste?

Wölfl: Seit heute hängt das erste Plakat und persönlich hat sich zwar noch keiner fragen getraut, aber vorne wird schon ganz neugierig gefragt (lacht). Ich nehme an, es wird sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Selbst kann ich schon aus Zeitgründen natürlich nicht überall mit hinfahren und man muss natürlich auch schauen, ob der Arzt und die Gruppe oder der Mensch, die da Zeit verbringen wollen, zusammenpassen, menschlich und auch fachlich. Wobei ich aber sagen muss, als Allgemeinmediziner und besonders Internist kann man da schon sehr viel abdecken.

medinlive: Geht das Angebot des Vereins auch über die Landesgrenzen hinaus?

Wölfl: Ja! Sicherlich ist das ein finanzielles Thema, aber wenn das jemand möchte, warum nicht. Ich denke, das geht durchaus. Professor Watzke meinte zum Beispiel, das abgegriffenen Bild vom „letzten Mal das Meer sehen“ ist nicht so weit hergeholt, sondern aus seiner Erfahrungswelt plausibel.  

Oder, in die andere Richtung gedacht, noch einmal in das Café gehen, wo man sich als Paar kennengelernt hat, noch einmal in die Oper gehen. Da geht es nicht darum, der Welt noch einmal „einen Haxen auszureißen“, sondern um diese kleinen Details, die Dinge, die in unserer ganz privaten Erinnerung wichtig waren. Der Faktor Abschied, der spielt schon eine Rolle, wie Menschen sich verabschieden wollen, aber viel mehr wollen wir das Leben an sich feiern und schauen, wie wir da helfen und begleiten können.

medinlive: Eltern mit Kindern, die Betreuung brauchen - ist das denkbar?

Wölfl: Natürlich! Gerade wenn es zum Beispiel ein schwerkrankes Kind mit Geschwistern gibt- diese Geschwister kommen da sehr zu kurz und das ist der Punkt, wo wir sagen, denen einen Urlaub zu ermöglichen, eine schöne Zeit, das wäre unser Beitrag als Verein. Ich denke, wir haben bei den Möglichkeiten wenige wirkliche Grenzen, außer fachlich vielleicht, wenn es ganz komplizierte Fälle gibt. Aber ich muss sagen, als Allgemeinmediziner kann man schon sehr viel abdecken, selbst diplomiertes Pflegepersonal ist mittlerweile wahnsinnig gut ausgebildet.

medinlive: Ich bin schon sehr gespannt, wie es anläuft!

Wölfl: Ich auch! Wir brauchen auf jeden Fall die Ärzte, die müssen wir ins Boot holen, aber ich denke, das wird funktionieren. Wir haben Kooperationen der MedUni und der Ärztekammer, gewinnen konnten wir außerdem Testimonials wie Alfred Dorfer oder Cornelius Obonya. Wir glauben jedenfalls, dass es großen Bedarf gibt und dass die Leistungen in Anspruch genommen werden, Zahlen traue ich mich da keine nennen, wieviele Menschen Interesse haben könnten, aber ich bin guter Dinge.

medinlive: Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch!

 

Der Verein „Ärzte für Menschen“

Schwerstkranke, Personen mit chronischen Erkrankungen oder nach akuten Leiden haben manchmal ein Problem: Sie können gewisse Aktivitäten nicht ohne permanente ärztliche Begleitung ausüben oder trauen sich das nicht zu. Der von Wiener Internistinnen gegründete Verein – schon vor dem offiziellen Start sind 12 Mediziner an Bord – will hier auf karitativer Basis Hilfe organisieren.

Zwei Angebote bietet „Ärzte für Menschen“ derzeit: „Need a doc“ ist das Hilfsangebot für Menschen, die auch aus medizinischer Sicht Hilfe brauchen, „Rent a doc“ wiederum richtet sich an Menschen, die – beispielweise nach einem schweren Eingriff - sich schlicht nicht mehr sicher genug fühlen, ohne ärztliche Unterstützung unterwegs zu sein. Das Angebot reicht dabei querbeet von Tagesausflügen über Museumsbesuche und Co., auch Urlaube oder die Begleitung von Kindern bei Schulaktivitäten sind möglich.

Die einzige Bedingung dafür, um als Arzt oder Ärztin dabeizusein: Eine aufrechte Haftpflichtversicherung. Wölfl sieht „vor allem bei älteren Kolleginnen und Kollegen mit bereits reduzierten Praxisstunden eine maßgeschneiderte Zielgruppe: Sie sagen, ich habe wieder mehr Zeit, so ein Projekt macht Sinn. Aber auch junge Ärztinnen, sogar mit kleinen Kindern, konnten wir dafür gewinnen.“

Interessentinnen und Interessenten können sich unter kontakt@aefm.at melden, „wir nehmen mit jedem Arzt dann persönlich Kontakt auf und klären die Details“ so die Initiatoren.

www.aerztefuermenschen.at

Der Verein finanziert sich über Spenden und Sponsoring

Spendenkonto: Ärzte für Menschen, Erste Bank, IBAN: AT02 2011 1840 9278 0100, BIC: GIBAATWWXXX

 

 

 

 

 

 

 

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„Diesen kleinen Schubser, den Menschen brauchen, um sich wieder etwas zu trauen, totz Krankheit"- den will der Verein „Ärzte für Menschen" unter anderem leisten.
Ärzte für Menschen
Susanne Biowski-Frotz und Martina Wölfl
Susanne Biowski-Frotz (li.) und Martina Wölfl kennen sich gut, mögen sich und haben als gemeinsames Projekt den Verein „Ärzte für Menschen" gegründet.
Stephan Seelig
 
© medinlive | 02.10.2024 | Link: https://www.medinlive.at/index.php/gesellschaft/wir-sind-durchaus-grosse-idealisten