Urologie
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Expertise-Zentrum für seltene Erkrankungen

Die Kinderurologie am Ordensklinikum Linz ist derzeit die einzige derartige Abteilung in Österreich und eines der größten Zentren in Europa. Das Gesundheitsministerium designierte die Abteilung nun zum Expertise-Zentrum (Typ B-Zentrum) für seltene Erkrankungen.

red

„Als Expertise-Zentrum sind wir künftig die nationale Erstanlaufstelle für alle Themen, die mit seltenen kinderurologischen Erkrankungen zu tun haben. Das sind etwa Fehlbildungen und Erkrankungen von Nieren, Harnleitern oder Blase in vielfältigen Ausprägungen. Im Rahmen des Zentrums wird dieses Wissen gebündelt und vernetzt“, erklärt Josef Oswald, Vorstand der Abteilung für Kinderurologie. Sie wurde vor 26 Jahren gegründet und ist auf seltene Erkrankungen in der Kinderurologie spezialisiert. Diese machen etwa 60 % aller Diagnosen aus. Jedes Jahr werden rund 2.000 Kinder operativ versorgt, die Hälfte der Eingriffe machen seltene bzw. komplexe Fälle aus.

Hohe Spezialisierung nötig

Seltene Erkrankungen werden über ihre Häufigkeit in der Gesamtbevölkerung definiert. In der EU gilt eine Erkrankung als selten, wenn sie bei maximal fünf Personen pro 10.000 Einwohner auftritt. Im Mittelpunkt des Expertisezentrums stehen angeborene urologische Fehlbildungen, deren Behandlung einer hohen Spezialisierung bedarf. Neue operative Methoden wurden entwickelt und erfolgreich umgesetzt. Herausragende Innovationen sind etwa künstliche Harnblasen, die aus einem Dünndarmabschnitt geformt werden. Auch die minimalinvasive, sehr schonende Behandlung von Nierensteinen und komplexe uroplastische Rekonstruktionen zählen zu den fachlichen Highlights der Abteilung.

Viele Operationen müssen bereits im Säuglings- und Kleinkindesalter erfolgen, um spätere Nierenschädigungen zu verhindern. Durch frühzeitige Intervention bei Kindern mit urologischen Fehlbildungen können diese oft vor einer lebenslangen Dialyse bis hin zur Nierentransplantation bewahrt werden. Wichtiger Aspekt ist eine rechtzeitige und frühe Diagnose.

Ziel: Normaler Alltag    

Etwa 50 Prozent der betroffenen Kinder fallen bereits bei vorgeburtlichen Untersuchungen auf, z.B.  durch schwere Fehlbildungen der harnableitenden Organe und der Geschlechtsorgane. Sie werden gleich nach der Geburt an die Abteilung zugewiesen. Es geht in der Folge zum einen um eine detaillierte Diagnostik - hier besteht eine enge Kooperation mit der Nuklearmedizin der Barmherzigen Schwestern - zum anderen um frühzeitige minimalinvasive und mikrochirurgische Operationen, um bei größtmöglichem Erfolg die Belastungen für das Kind so gering wie möglich zu halten. Typische Eingriffe sind komplexe angeborene Nieren- und Harnleiterfehlbildungen sowie Harnröhren­ und Blasenfehlbildungen, wie die Ekstrophie (offene Blasenplatte) und Epispadie (unvollständig ausgebildete Harnröhre) als besonders schwierig zu operierende Fehlbildungen. Das Ziel liegt darin, neben dem Verschluss der Bauchdecke auch die Kontinenz herzustellen, um den Betroffenen ein weitestgehend normales Alltagsleben zu ermöglichen.

Ein anderes herausforderndes Beispiel sind Operationen bei Kindern, die mit Spina bifida („offener Rücken“) geboren wurden und oft an ausgeprägten Kontinenz- und Nierenproblemen leiden. Hier formen die Spezialisten in aufwändigen Operationen künstliche Blasen, die mittels Einmalkathetern, welche sich die betroffenen Kinder selbst setzen, entleert werden. Trainiert wird diese Fähigkeit neben vielen weiteren Aspekten in der Blasenschule der Abteilung, die operierten Kindern und Jugendlichen die soziale Integration massiv erleichtert.

Die Kinderurologen arbeiten eng im Teamwork mit der Kinderabteilung, der Nuklearmedizin, der Plastischen Chirurgie und einem spezialisierten Kinderanästhesieteam zusammen. Bei schweren Erkrankungen, bei denen auch der Darm mit betroffen ist, werden die Operationen in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Spezialisten des Kepler Universitätsklinikums durchgeführt. Ein wichtiges Anliegen ist außerdem ein fließender Betreuungsübergang betroffener Patienten von Säuglings-, über die Kinder- bis zur Jugendmedizin, etwa bei Nierenschäden.

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Nationaler Aktionsplan für Seltene Erkrankungen

Seltene Erkrankungen (SE) werden über ihre Häufigkeit in der Gesamtbevölkerung definiert. In der EU gilt eine Erkrankung als selten, wenn sie bei maximal fünf Personen pro 10.000 Einwohner auftritt. In „Orphanet“, der weltweiten Referenzdatenbank für SE, waren mit Ende 2014 5.833 verschiedene seltene Krankheitsbilder erfasst. Nach Schätzungen der EU-Kommission gibt es in Europa bis zu 8.000 unterschiedliche seltene Krankheiten. Auch viele der genannten kinderurologischen Diagnosen zählen zu diesen seltenen Erkrankungen. Der Status als international anerkanntes Expertisezentrum berechtigt die Linzer Kinderurologie nun zur Teilnahme an Europäischen Referenznetzwerken (ERN) im Sinne der EU-Richtlinie über Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung aus 2011.

In Österreich gab es bislang erst zwei solcher Nationaler Referenzzentren. Das Epidermolysis bullosa (EB)-Haus Austria am Areal des Salzburger Universitätsklinikums in enger Anbindung an die Universitätsklinik für Dermatologie ist erste Anlaufstelle für Menschen, die unter dieser unheilbaren, folgenschweren Hauterkrankung leiden. Sie sind besser bekannt als „Schmetterlingskinder“. Weltbekannt ist auch das zweite Zentrum: Das Wiener St. Anna Kinderspital für pädiatrische Onkologie, besitzt internationale Exzellenz für kindliche Tumorerkrankungen.

 

Babyfüsse Neugeborenes
Im Mittelpunkt des Expertisezentrums stehen angeborene urologische Fehlbildungen, deren Behandlung einer hohen Spezialisierung bedarf.
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© medinlive | 19.04.2024 | Link: https://app.medinlive.at/index.php/gesundheitspolitik/expertise-zentrum-fuer-seltene-erkrankungen