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Internationaler ME/CFS-Tag

Chronisches Erschöpfungssyndrom: Chronisch untererforscht

Es ist eine mysteriöse Krankheit, an der immer mehr Menschen erkranken und die fast gänzlich unerforscht ist: ME/CFS, besser bekannt als chronisches Erschöpfungssyndrom. Laut Berliner Charité das häufigste Symptom bei Long-Covid. Doch die Pandemie scheint nicht nur Treiber der Krankheit zu sein, sie macht sie auch sichtbarer. Am 12. Mai ist Internationaler ME/CFS-Tag.

Lisa Lukitsch-Dittlbacher

Bereits die Häufigkeit der Krankheit stellt ein großes Fragezeichen dar, die Dunkelziffer scheint hoch: Schätzungen zufolge sind laut der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS zwischen 26.000 und 80.000 Menschen in Österreich von der Krankheit betroffen, nur wenige davon diagnostiziert. ME steht für „myalgische Enzephalomyelitis“, wird aber auch als „Chronisches Fatigue Syndrom“ – CFS – bezeichnet, besser bekannt im deutschen Sprachraum als chronisches Erschöpfungs- oder Müdigkeitssyndrom. Eine Begrifflichkeit, die viele Betroffene aber ablehnen, weil es die Symptome verharmlose. Wer erkrankt, sei nicht einfach nur müde.

Auch Ursachen und Auslöser für die Erkrankung sind nicht vollständig geklärt: Laut der Berliner Charité, die auch das deutschlandweit erste Fatigue-Zentrum beheimatet, kann die Erkrankung plötzlich beginnen, oft infolge eines Infekts, von dem man sich dann nicht mehr zu erholen scheint, aber auch schleichend beginnende Verläufe sind möglich. Als virale Auslöser stehen u.a. Long-Covid, aber auch das Pfeiffersche Drüsenfieber oder andere Herpesviren und Enteroviren unter Verdacht. ME/CFS kann, je nach Ausprägung, bei Betroffenen zu schweren körperlichen Einschränkungen bis hin zur gänzlichen Arbeitsunfähigkeit führen. Zu den Symptomen gehört neben der in der Namensgebung beschriebenen Fatigue (französisch; deutsch: Müdigkeit oder Erschöpfung), etwa eine ausgeprägte Belastungsintoleranz, Schlafstörungen, Glieder- und Muskelschmerzen sowie kognitive Einschränkungen.

Endlose Erschöpfung

Das kann so weit gehen, dass Betroffene ihr Bett nicht mehr verlassen können oder nur noch wenige Schritte möglich sind. Charakteristisch für ME/CFS ist die oft erst am Folgetag einer Anstrengung auftretende Verschlechterung, die sogenannte „Post-Exertional-Malaise“, die tage- oder sogar wochenlang anhalten kann: Bereits leichte physische, kognitive oder emotionale Anstrengungen führen zu einem ausgeprägten Erschöpfungszustand, der auch durch Schlaf und Ruhe nicht nachhaltig verbessert werden kann.

Wie stark das Leben durch ME/CFS beeinträchtigt wird, zeigt unter anderem die preisgekrönte Dokumentation „Unrest“ in der die 28-Jährige Amerikanerin und ME/CFS-Patientin Jennifer Brea sehr persönlich und eindrücklich ihren Alltag mit der Krankheit portraitiert, die sie innerhalb kürzester Zeit ans Bett fesselt. Auf ihrer Suche nach Antworten findet Brea andere ME/CFS-Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen, die ihr Mut machen, den Kampf mit und gegen die Krankheit aufzunehmen. Eine Krankheitsgeschichte, die für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte schwer zu diagnostizieren und therapieren ist und für die Betroffenen einen oft lebenslangen Leidensweg bedeutet.

Unerforschte Unbekannte

Zwar wurde ME/CFS von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits 1969 anerkannt und als schwere neuroimmunologische Multisystemerkrankung eingestuft, nach wie vor ist die Krankheit aber wenig bekannt und erforscht, denn das chronische Erschöpfungssyndrom ist schwer zu diagnostizieren und wird in vielen Fällen gar nicht oder erst nach Jahren richtig erkannt. Laut aktuellem ME/CFS-Report, der 2021 erstmals einen Überblick über die Situation der Patientinnen und Patienten in Österreich geschaffen hat, dauert es im Mittel fünf bis acht Jahre vom Ausbruch der Krankheit bis zur Diagnosestellung.

Denn die Befundung gestaltet sich schwierig und langwierig, bis jetzt gibt es keine definierten diagnostischen Biomarker oder spezielle Untersuchungen, die die Diagnose ME/CFS sichern. In der Abklärung geht es vor allem darum, andere Krankheiten für die Beschwerden auszuschließen und unterschiedliche klinische Kriterienkataloge anzuwenden. Wegen der vermuteten Vielfalt der Ursachen und ohne genauen Ansatzpunkt für eine Therapie, gibt es unter Experten aktuell auch keine Einigung, wie sich die Erkrankung am besten behandeln lässt. Bislang sind noch keine zielgerichteten Medikamente gegen CFS verfügbar, meist erfolgt eine vorwiegend symptomorientierte Behandlung.

Petition fordert politische Unterstützung

Es gibt daher noch viel Aufholbedarf, um die Krankheit besser zu verstehen, die Ursachen von ME/CFS zu erforschen, diagnostische Marker zu entwickeln und Therapiestudien durchzuführen. Fristete die Krankheit bisher doch eher ein Schattendasein, rücken die Corona-Pandemie und Long-Covid Krankheiten wie ME/CFS immer mehr in den Vordergrund und machen die hierzulande oft fehlenden Versorgungs- und Behandlungsstrukturen für postvirale Erkrankungen und deren Langzeitfolgen sichtbar.

Um auf die Lage der Erkrankten in Österreich aufmerksam zu machen, hat die Österreichische Gesellschaft für ME/CFS im vergangenen Jahr eine Online-Petition gestartet. Konkret forderten die Betroffenen eine offizielle Anerkennung der Krankheit, ausreichend Information und politische Unterstützung für Betroffene sowie staatliche Fördermittel für die Forschung. 26.938 Unterstützende haben unterschrieben.

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Schätzungen zufolge sind laut der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS zwischen 26.000 und 80.000 Menschen in Österreich von der Krankheit betroffen, nur wenige davon diagnostiziert.
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