Diskussion um Organspenden
Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn hat eine Reform der Organspende auf die politische Agenda gesetzt und Bewegung in eine emotionale Debatte gebracht.
Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn hat eine Reform der Organspende auf die politische Agenda gesetzt und Bewegung in eine emotionale Debatte gebracht.
Die Zahl der Organspenden in Deutschland hat im vergangenen Jahr einen neuen Tiefstand erreicht. Während 2010 noch 1.296 Organtransplantationen durchgeführt wurden, waren es 2017 nur noch 797. Gleichzeitig warten derzeit rund 10.000 schwerkranke Deutsche auf ein rettendes Organ. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn will die Zahl der Transplantationen erhöhen und sich für die sogenannten Widerspruchslösung ausgesprochen.
Bisher muss ein potenzieller Spender in Deutschland noch zu Lebzeiten in die Organspende eingewilligt haben, oder seine Angehörigen stimmen dem im Todesfall zu. Diese erweiterte Zustimmungslösung gilt seit 1997 in Deutschland. Mit der Widerspruchslösung wäre jeder deutsche Bürger automatisch Spender, wenn nicht er oder seine Angehörigen ausdrücklich widersprechen.
Spahns Vorschlag stieß sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft auf starke Reaktionen. Die von ihm vorgeschlagene Widerspruchslösung sei zwar „ein starker Eingriff in die Freiheit”, alle bisherigen Versuche, die Zahl der Organspender zu erhöhen, seien aber erfolglos geblieben, wies Spahn die Kritik zurück. „Drei Menschen sterben jeden Tag, weil das Organ, das sie sehnsüchtig erwartet haben, nicht kam”, sagte er kürzlich im ARD-Morgenmagazin.
Widerspruchslösung weit verbreitet in Europa
Mit seinem Vorstoß folgt Deutschland dem Beispiel von vielen europäischen Ländern. Unter Experten wird die von Spahn vorgeschlagene Regelung als „Widerspruchslösung mit Einspruchsrecht“ bezeichnet. Praktiziert wird sie etwa in Belgien, Estland, Finnland, Litauen und Norwegen.
Die radikalere Form, ohne Verwandtenbefragung, ist noch weiter verbreitet. Sie gilt in Bulgarien, Frankreich, Irland, Italien, Lettland, Liechtenstein, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Polen, Portugal, der Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, der Türkei, Ungarn und Zypern. Wer sich dort aufhält und verunfallt ist ein potentieller Organspender, es gilt immer das Recht des Gastlandes.
Österreich bei Organtransplantationen im Spitzenfeld
Während in Spanien von einer Million Einwohnern rund 47 – meist nach dem Tod – ihre Organe zur Verfügung stellen, sind es in Deutschland weniger als zehn, geht es aus den Zahlen der Stiftung Eurotransplant hervor. In Österreich liegt die Zahl bei 23,5. Bei durchgeführten Organtransplantationen liegt Österreich international im Spitzenfeld. 2017 wurden 717 Organtransplantationen mit Organen verstorbener Organspender durchgeführt. Die Organe stammen zum großen Teil von Personen, bei denen der Hirntod festgestellt wurde.
In Österreich ist eine Organentnahme dann zulässig, wenn den Ärzten keine Erklärung vorliegt, mit der der Verstorbene oder, vor dessen Tod, sein gesetzlicher Vertreter eine Organspende ausdrücklich abgelehnt hat. Eine Erklärung liegt auch vor, wenn sie in dem Widerspruchsregister eingetragen ist. In der Praxis würden Krankenanstalten auch in Fällen, in denen kein Widerspruch vorliegt, versuchen, die Zustimmung der Angehörigen einer hirntoten Person vor der Organentnahme zu erhalten.
Deutscher Ärztepräsident: „rechtlich schwierig umzusetzen”
In Deutschland stieß Spahns Initiative zur Organspende auf gespaltene Reaktionen. Unterstützung für seinen Vorschlag erhielt er etwa von dem deutschen Ärztepräsidenten Frank Ulrich Montgomery. Die Ärzteschaft habe sich immer für eine solche Regelung ausgesprochen, sagte der Präsident der Bundesärztekammer kürzlich gegenüber der „Passauer Neuen Presse”.
Zugleich räumte Montgomery ein, die Widerspruchslösung sei „rechtlich nur sehr schwierig umzusetzen”. In Deutschland müssten Patienten auch für kleinere Eingriffe ihre Einwilligung geben. „Dann ist es natürlich rechtssystematisch problematisch, wenn dies für den größtmöglichen Eingriff überhaupt, die Bereitstellung des ganzen Körpers, ohne jede vorherige Einwilligung möglich sein sollte.” Hierüber müssten sich „die Rechtsphilosophen Gedanken machen".
Ablehnung vom Deutschem Ethikrat
Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, lehnt die Widerspruchslösung dagegen ab. Es handle sich um einen „wirklich tiefen Eingriff in das Selbstverfügungsrecht über den eigenen Körper”, sagte der Theologe kürzlich gegenüber Deutschlandfunk. Auch sei er dagegen, aus einem „Akt der Freiwilligkeit und der Solidarität" einen „Pflichtakt” zu machen, „bei dem man aktiv widersprechen muss”.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, warf Spahn vor, er setze „die Axt an den Grundrechten an”. Werde eine Widerspruchsregelung eingeführt, könne von Organspende keine Rede mehr sein, „denn Spenden sind immer freiwillig”, erklärte Brysch.
Strukturelle Probleme bekämpfen
Spahn setzt nun auf eine breite Debatte im Deutschen Bundestag. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Frage, ob es eine Widerspruchslösung geben soll, im Bundestag zu einer „ethischen Entscheidung" erhoben wird. Um die Spenderzahlen zu steigern, hat der deutsche Gesundheitsminister auch andere Maßnahmen in die Wege geleitet.
Die Kliniken sollen künftig mehr Geld erhalten für jede Organspende, die sie durchführen. Sie sollen unter anderem eine Grundpauschale für Kosten bekommen, die wegen der Feststellung des Hirntods anfallen. Zudem wird angestrebt, dass die Organe künftig auch unter bestimmten Voraussetzungen in kleineren Krankenhäusern entnommen werden können. Außerdem soll die Position der Transplantationsbeauftragten gestärkt werden. Sie sollen mehr Zeit für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben bekommen. Mit den Änderungen will Spahn strukturelle Probleme in Kliniken bekämpfen, die auch ein Grund für den Organmangel sind.
Merkel befürwortet Widerspruchslösung
Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel befürwortet Spahns Vorstoß. „Ich persönlich habe große Sympathie für die doppelte Widerspruchslösung, weil ich dann doch aktiv einmal im Leben darüber nachdenken muss, ob ich das möchte oder nicht“, sagte die CDU-Chefin vor wenigen Wochen im RTL-Sommerinterview. „Das beraubt mich keiner Freiheit, aber ich muss mich mit dieser Frage auseinandersetzen und tue damit, glaube ich, für andere Menschen etwas sehr Wichtiges.“ Es sei richtig, dass es dazu eine Debatte im Bundestag geben solle, bei der jeder Abgeordnete ohne Fraktionszwang für sich entscheide.