„Ihr Kind ist krank, nicht gesund“, diese harten Worte haben Eltern von rund 5.000 Kindern und Jugendlichen in Österreich, die an einer unheilbaren, lebensverkürzenden Erkrankung leiden, gehört. 32 Hospiz- und Palliativeinrichtungen für Pädiatrie unterstützen Familien von schwerstkranken Kindern. Über 100 Kinder werden momentan zuhause betreut. „Oft ist eine Betreuung über viele Monate oder Jahre notwendig“, sagt Martina Kronberger-Vollnhofer, Kinderhospizbeauftragte des DVHÖ (Dachverband Hospiz Österreich) und Leiterin des Kinderhospizes und Kinderpalliativteams MOMO am Mittwoch in Wien.
Fast ausschließlich kümmere man sich um Kinder mit seltenen Erkrankungen. Rund zehn Prozent der Kinder hätten gar keine Diagnose. Oft dauert es lange bis eine Diagnose gestellt wird. So war es auch beim kleinen Henry, wie Vater Stoppel erzählt. Der mittlerweile über ein Jahr alte Bub wurde nach einer weitgehend normalen Schwangerschaft mit einer zunächst unbekannten Krankheit geboren.
„Zuhause war eine mobile Intensivstation“
Nach einer Frühgeburt lag der Bub dann zweieinhalb Monate auf der Neonatologie, wurde mit Sauerstoff versorgt. Die erschreckende Erstdiagnose „Trisomie 21“ stellte sich bald als falsch heraus. Die ersten Tage waren dramatisch. Der Vater erhielt die Nachricht, das Kind könne nicht länger beatmet werden, die Eltern müssten sich von ihm verabschieden. Zu dem Zeitpunkt lag das Kind in einem mobilen Brutkasten und die Mutter noch in einem anderen Spital, auch ihre Verlegung zum Neugeborenen gestaltete sich schwierig. „Wie ein toter Fisch“, beschreibt Stoppel den Zustand seines Sohnes. „Er konnte kaum schlucken, die Hände nicht heben und musste mit einer Sonde basal ernährt worden. Sein Speichel musste mit elektrischen Geräten abgesaugt werden, weil er sonst erstickt wäre“, so der Vater. Der Zustand des Kindes verbesserte sich. Derweil wurde der Bub auf verschiedene Muskelerkrankungen getestet, ohne Erfolg. Schließlich kam es zu einer gesamtgenetischen Auswertung.
„Man ist emotional tot, man funktioniert, man handelt“, beschreibt Stoppel seinen emotionalen Zustand in der Zeit. Nach der Intensivstation übernahm die Familie die Pflege. Der Bub kam nachhause mit einer Reihe von Geräten. „Zuhause war eine mobile Intensivstation. Wir konnten ihn nicht alleine lassen, oft mussten wir ihn zu zweit betreuen“, beschreibt der Vater die Situation. Zudem musste die Familie mit anderen Materialien als im Krankenhaus zurechtkommen, wie etwa günstigeren Atemmasken, die aber nicht passgerecht waren. Stoppel rät anderen Eltern darum, diese bereits im Spital zu testen.
Henry wurde schließlich kräftiger, hatte auch kurze Erholungsphasen. Doch die Diagnose blieb weiterhin aus. „Wir kennen die Krankheit nicht, sucht euch jemanden, der euch helfen kann“, hörte die Familie von ärztlicher Seite. Durch private Kontakte zu einer Kinderärztin bekamen sie schließlich doch die Diagnose: „RYR1“ - eine Muskelerkrankung. Heilung gebe es nicht, die Erkrankung könne jedoch „besser werden“. „Im öffentlichen System hätten wir darauf wohl drei Monate gewartet“, so Stoppel, der Kritik an der Zweiklassenmedizin übt und am schroffen Umgangston vieler Ärzt:innen.
Nun, eineinhalb Jahre später, nach ständiger Betreuung und zahllosen Therapie-Terminen und einer wegweisenden Operation (ein Button für den Mageneingang), sind die Symptome besser. Die Familie konnte ein gutes Therapeutenteam aufstellen, das auch nachhause kommt und dessen Leistung die Kasse übernimmt. Kein leichtes Unterfangen. Nun hofft die Familie auf einen Kindergartenplatz, was sich schwierig gestaltet, da Henry viel Betreuung benötigt. Stoppel, der sich derzeit zu Hause um seinen Sohn kümmert, hat seine Kraft in der schwierigen Zeit durch seinen Sohn geschöpft. Der erfreue sich an so vielem, erzählt er.
Große Hoffnung in Gesetz zu Regelfinanzierung
Henrys Familie ist eine von vielen, die das „MOMO - Kinderhospiz und Kinderpalliativteam“ seit seiner Gründung 2013 unterstützt hat. Jede Familie sei anders, hat einen anderen Bedarf. Kronberger-Vollnhofer erinnert sich beispielsweise auch an Mechmet, der zwar die Geburt überlebt hatte und nachhause konnte, aber dort nach wenigen Wochen bei seiner Großfamilie verstorben ist. Oder an Julia, die eine gesunde Kindheit hatte und nach einem Unfall 24 Stunden gepflegt und künstlich ernährt werden musste. Die Mutter konnte nicht mehr arbeiten. Oft helfen ehrenamtliche Hospizbegleiter bei der Betreuung. Geschwisterkinder rutschen oft in die zweite Reihe.
Die Zukunftspläne von Familien würden sich stark verändern, so sie ein betroffenes Kind haben, bestätigte Sozialarbeiterin Irmgard Hajszan-Libiseller, die ihre Aufgabe in der Unterstützung und Entlastung sieht. Entlastung sehe jedoch bei jeder Familie anders aus. Am wichtigsten ist Hajszan-Libiseller zufolge die kostenfreie Unterstützung sobald das Kind nachhause kommt. Wichtig sei auch gut informiert zu sein, medizinisch, aber auch welche Unterstützungen es gebe. Bei MOMO werde versucht die Familie mit multiprofessionellem Blick als Ganzes zu betrachten, mit Sozialarbeit, Psychologie und Therapie.
Große Hoffnung für die flächendeckende und leistbare Hospiz- und Palliativversorgung wird in das im Februar 2022 beschlossene Gesetz zu Regelfinanzierung gesetzt. Dieses wurde im Nationalrat mit breiter Mehrheit beschlossen (Bericht). Mit 108 Millionen Euro soll ein neuer im Sozialministerium eingerichteter Hospiz- und Palliativfonds von 2022 bis 2024 dotiert sein und von den Ländern für mobile Palliativteams, Palliativkonsiliardienste, Hospizteams, Tageshospize und stationäre Hospize – jeweils für Kinder und Erwachsene – verwendet werden.
Von dem neuen Gesetz erhofft sich DVHÖ-Präsidentin Waltraud Klasnic eine Verbesserung – der Vollausbau der pädiatrischen Hospiz- und Palliativversorgung bis 2025 und die Finanzierung werden damit österreichweit einheitlich geregelt. In den vergangenen zehn Jahren habe man viel geschafft – von der Sensibilisierungsarbeit bis zum Ausbau der Kinder-Palliativpflege in den Bundesländern, sagte Kronberger-Vollnhofer. Allerdings brauche es immer noch ein Mehr an mobiler und stationärer Pflege sowie mehr Möglichkeiten, um Familien zu entlasten. Kindergartenplätze für Betroffene etwa seien „sehr rar“, fügte Hajszan-Libiseller noch hinzu.
Der Dachverband Hospiz Österreich (DVHÖ) begeht heute zum zweiten Mal den Österreichischen Kinderhospiz- und Palliativtag. Raum und Zeit bräuchten Kinder, um sich zu entwickeln; auch, wenn sie krank sind, so die Ärztin Martina Kronberger-Vollnhofer bei einer Pressekonferenz. Der Tag steht heuer denn auch unter dem Motto „Raum und Zeit für Leben und Sterben“. Der Dachverband will so dazu beitragen, die Akzeptanz erkrankter Kinder und Jugendlicher in ihrer Umwelt zu verbessern, Bewusstsein für ihre Bedürfnisse zu schaffen und Barrieren abzubauen. Um die Patient:innen kümmern sich derzeit 32 spezialisierte pädiatrische Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich, speziell geschulte Ärzt:innen, Kinderkrankenpfleger, Therapeuten, Psychologen, Sozialarbeiter und ehrenamtliche Hospizbegleiter sind Teil der multiprofessionellen Teams.
Es gibt in Österreich keinen Rechtsanspruch auf Palliativ- oder Hospizversorgung. Schätzungen gehen davon aus, dass die Bedarfsdeckung erst zu 50 Prozent erfüllt ist. 80 bis 90 Prozent der Hospiz- und Palliativversorgung erfolgt in der so genannten Grundversorgung durch Hausärzt:innen, mobile Dienste, Langzeitpflegeeinrichtungen und Krankenhäusern.