Gerichtsentscheid:

Diskriminierung bei Assistenz für behinderte Schüler:innen

Warum haben Schüler:innen mit einer körperlichen Behinderung Anspruch auf eine persönliche Assistenz, Kinder mit Autismus oder einer Sinnesbehinderung aber nicht? Ein Entscheid des Handelsgerichts Wien stellte hier nun eine klare Diskriminierung fest. Viele Reaktionen forderten nun das Bildungsministerium auf, diese Ungleichbehandlung „unverzüglich zu beenden“.

red/Agenturen

Wie bereits am Mittwochabend bekannt wurde, stellte das Handelsgericht nach einer Verbandsklage des Klagsverbands erstinstanzlich eine Diskriminierung nach dem Behindertengleichstellungsgesetz fest. So werden Assistenzen derzeit etwa nicht bei Autismus-Spektrum-Störungen genehmigt.

Behindertenanwältin Christine Steger begrüßte das Urteil, bedauerte in einer Aussendung aber, „dass es in dieser Angelegenheit überhaupt zu einer Klage kommen musste“. Der gleichberechtigte Zugang zum Bildungssystem sei „ein Schlüssel für ein gemeinsames Leben und Aufwachsen von Kindern mit und ohne Behinderungen“. Weiter heißt es in einer Aussendung: „Bildung ist ein Grundpfeiler für ein Leben in der Gesellschaft. Jede strukturelle Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen beim Zugang zu Bildung ist strikt abzulehnen.“

Erfreut zeigte sich Steger, dass seitens des Büros von Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) eine rasche Umsetzung des Urteils zugesagt wurde. Sie verwies allerdings auch auf die Anmerkung des Klagsverbands, wonach von Polaschek erneut die Ansicht vertreten worden sei, dass es genügend andere Unterstützungen gäbe und eine „Gleichschaltung“ nicht zu befürworten sei. „Diese Aussage bedient sich einer sehr fragwürdigen Terminologie und ist vor dem Hintergrund der Ankündigung einer längst fälligen Korrektur einer nunmehr auch gerichtlich festgestellten Diskriminierung äußerst kritikwürdig“, so die Behindertenanwältin.

Diskriminierung „unverzüglich beenden“

Das Behindertenberatungszentrum BIZEPS forderte am Donnerstag das Bildungsministerium auf, die Diskriminierung „unverzüglich zu beenden“. „Das Vorenthalten von ausreichend Persönlicher Assistenz für Schüler:innen mit Behinderungen ist eine Diskriminierung“, sagte BIZEPS-Obmann Martin Ladstätter in einer Aussendung. Auch zeigte er sich stolz, dass man mit dem BIZEPS-Rechtsfonds „einen wesentlichen Beitrag zur Ermöglichung dieser Verbandsklage“ geleistet habe.

Erfreut über das Urteil zeigte sich auch der Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich (BSVÖ), der die Verbandsklage seit der Einbringung im Juli 2021 unterstützt. „Auch sinnesbehinderte Personen haben das Recht auf Chancengleichheit in der Bildung. Manchmal kann diese Chancengleichheit nur mit Persönlicher Assistenz ermöglicht werden. Es handelt sich dabei also nicht um Luxus, sondern um eine Notwendigkeit“, sagte dazu BSVÖ-Präsident Markus Wolf.

„Richtungsweisendes“ Verbandsklage-Urteil

Auch der Unabhängige Monitoringausschuss, der in Österreich die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention überwacht, begrüßte das „richtungsweisende“ Verbandsklage-Urteil „außerordentlich“. Die festgestellte Diskriminierung verstoße klar gegen die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Die Kinder- und Jugendanwaltschaft verwies darauf, dass Österreich die UN-Kinderrechtskonvention sowie die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert hat. Auch laut Bundesverfassung habe jedes Kind mit Behinderung das Recht auf den Schutz und die Fürsorge, die seinen persönlichen Bedürfnissen entsprechen. „Es ist sehr zu begrüßen, dass das Gericht dieser in der Verfassung verankerten Verpflichtung Rechnung getragen hat“, so die Anwaltschaft. Gleiche Zugangsmöglichkeiten für alle Kinder mit Behinderung forderte am Donnerstag auch Jasna Puskaric, die geschäftsführende Vorständin der WAG Assistenzgenossenschaft.

FPÖ-Behindertensprecher Christian Ragger sprach von einem „Tag der Freude“: Der Bildungsminister müsse nun endlich einen gleichberechtigten Zugang umsetzen. „Damit kommen wir einer inklusiveren Schule endlich einen Schritt näher.“ Als wichtigen Schritt in Richtung schulische Inklusion begrüßten auch die Grünen die Gerichtsentscheidung. „Wir freuen uns über diese klare Aussage“, sagt Heike Grebien, Sprecherin für Menschen mit Behinderungen. Auch NEOS-Behindertensprecherin Fiona Fiedler zeigte sich erfreut: „Kein Mensch hat gerne persönliche Assistenz, aber Menschen mit Behinderungen brauchen sie, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Wenn wir hier Unterschiede machen, diskriminieren wir höchstgradig.“

Der Klagsverband hatte in seiner Klage argumentiert, dass im Gegensatz zu Schüler:innen mit körperlicher Behinderung viele Kinder und Jugendliche mit anderen Behinderungen - darunter solche im Autismus-Spektrum oder mit Sinnesbehinderung - keinen Zugang zu Schulbildung an Bundesschulen (v.a. AHS, BHS) haben, weil ihnen die dafür nötige persönliche Assistenz nicht zur Verfügung gestellt wird.

Deshalb müssten sie oft etwa auf eine Sonderschule ausweichen. Grundlage für eine Entscheidung über die Gewährung ist ein Rundschreiben des Bildungsministeriums: In diesem wird festgehalten, dass nur Schülerinnen und Schüler mit körperlicher Behinderung ab Pflegestufe 5 (in Ausnahmefällen ab Pflegestufe 3) Unterstützung durch persönliche Assistenz während des Unterrichts erhalten können. Im Ministerium erklärte man bereits am Mittwoch auf APA-Anfrage, dass man das Urteil rasch umsetzen und das fragliche Rundschreiben entsprechend anpassen werde.