Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) sind oft monatelange in Bundesbetreuungseinrichtungen untergebracht, dies widerspricht der österreichischen Verfassung, wonach das Kindeswohl in allen behördlichen Maßnahmen vorrangig zu berücksichtigen und die Jugendfürsorge Länderkompetenz ist, so die KJA. Aufgrund massiver Versorgungsmängel in den Ländern können die Fluchtwaisen oft nicht weitervermittelt werden. Sie bleiben fünf bis sieben Monate in den Bundesbetreuungseinrichtungen. Während dieser Zeit haben sie keinen Obsorgeberechtigten, kritisierte die KJA. Da die vorübergehende Unterbringung keinen dauerhaften Wohnsitz darstellt, ist es den Jugendlichen kaum möglich, eine Schul- oder Berufsausbildung zu beginnen.
Kaum pädagogische Angebote
Laut dem Bericht lebten im November 2022 rund 1.200 Fluchtwaisen in Bundesbetreuungsquartieren, die allesamt Großeinrichtungen mit inadäquatem Personalschlüssel sind. Es fehlt an pädagogischer Betreuung, an Bildungs- und Freizeitangeboten. Der geringe Personalschlüssel in Kombination mit mangelnder Tagesstruktur der Minderjährigen führt zu höherem Gewalt- und Eskalationsrisiko. Zu Recht beschreiben die Jugendlichen den Aufenthalt in den Einrichtungen als vergeudete Lebenszeit, berichtete die KJA. Sie sind demnach hoch motiviert zu lernen und zu arbeiten, aber zum Warten auf unbestimmte Zeit gezwungen. In Bundesquartieren kommen auf einen Betreuer 8,9 Minderjährige, in Landesquartieren 1,4 Betreute auf einen Betreuer und in Wohngemeinschaften gibt es für jeden Minderjährigen im Schnitt zwei Betreuer.
Wien erfüllt Aufnahmequote
Wien erfüllt im Gegensatz zu anderen Bundesländern laut KJA die Aufnahmequote. Für rund 400 Kinder und Jugendliche, die allein geflüchtet sind, hat die Wiener Kinder- und Jugendhilfe die Obsorge übernommen. Die unter 14-Jährigen werden in Wohngemeinschaften der Kinder und Jugendhilfe betreut, die Älteren in Einrichtungen des Fonds Soziales Wien. Auch hier gibt es massive Qualitätsunterschiede. Laut KJA entspricht die Unterbringung von 70 Minderjährigen in einem Haus nicht den kinderrechtlichen Anforderungen und stellt im Vergleich zu den Standards der Kinder-und Jugendhilfe eine Diskriminierung dar. Die KJA fordert deshalb seit langem die Angleichung der Unterbringungsstandards in der Grundversorgung von Fluchtwaisen an jene der Kinder- und Jugendhilfe.
Kritische Versorgungslage
Massive Probleme gibt es laut den Expert:innen weiterhin in Krisenzentren. Im Jahr 2022 fanden 95 Monitoring-Besuche statt, davon 22 in Krisenzentren und 70 in Wohngemeinschaften der Kinder-und Jugendhilfe (MA 11) beziehungsweise von privaten Organisationen. Bereits im Vorjahr hatte die KJA die kritische Versorgungslage in den Krisenzentren thematisiert. Daraufhin gab es „zwar große mediale Aufmerksamkeit, jedoch keine Verbesserung der Lage für Kinder“, kritisierten die Expert:innen im neuen Jahresbericht. Änderungsvorschläge der KJA zur Entlastung der Gesamtsituation wurden demnach bisher nicht umgesetzt. Obwohl alle Krisenzentren im Jahr 2022 wiedereröffnet werden konnten, gab es bereits im Mai erneut einen Überbelag in allen Regionen und anstatt der acht vorgesehenen Kinder waren meist elf bis zwölf Kinder untergebracht. „Unter solchen Umständen kann der Schutz von Minderjährigen nicht flächendeckend gewährleistet werden, weshalb die KJA in einer Stellungnahme vor einer potenziellen Kindeswohlgefährdung warnte. Krisenabklärungen und Beziehungsarbeit sind nicht mehr nach fachlichen Standards durchführbar“, heißt es im Bericht. Demnach kam es auch „im Jahr 2022 zu Übergriffen unter Kindern und Jugendlichen, zu Polizeieinsätzen und zu wochenlangen Abgängigkeiten.“
Zu wenig Personal
Die Expert:innen kritisierten, dass „Jugendliche mit erhöhtem Gewaltpotenzial durch Sicherheitspersonal bewacht und Kinder mit Beeinträchtigungen durch zugekauftes Pflegepersonal betreut“ werden. Ebenso beunruhigend seien laut dem Bericht die unverändert langen Wartezeiten auf sozialtherapeutische und -psychiatrische Wohnplätze sowie die systemwidrigen Rückstellungen von Kindern durch überforderte Einrichtungen oder Pflegeeltern in die Krisenzentren. Den Betreuungspersonen sei kein Vorwurf zu machen, wurde festgehalten, sie leisten wertvolle Arbeit. Schwierig sei die Zusammenarbeit für die Einrichtungen auch mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie. So würden Kinder wochenlang auf eine Aufnahme in den stationären Bereich warten oder werden bei Akutaufnahmen nach wenigen Stunden wieder entlassen. Die Kommunikation mit dem stark überlasteten medizinischen Personal ist lückenhaft und nicht verlässlich. Auch der niedergelassene Bereich der Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und -psychiater ist ressourcenmäßig am Limit, warnt die Kinder- und Jugendanwaltschaft im Jahresbericht.