Während die Zahl der mysteriösen Fälle von Hepatitis bei Kindern steigt, ist die Datenlage weiter dünn. Denn viele Fälle sind unzureichend dokumentiert, wie EASL-Expertin Maria Buti und Philippa Easterbrook von der WHO, auf dem Internationalen Leberkongress in London betonen.
Claudia Tschabuschnig
Die Hepatitis Fälle bei Kindern bleiben ein Mysterium. Vieles konnte schon ausgeschlossen werden und auch multifaktorale Ansätze werden verfolgt. Heißt: Globale Daten, die von verschiedenen Ländern zusammengeführt werden. Hierbei spielt die Datenqualität eine wichtige Rolle und genau hieran mangelt es, wie Buti, Vorsitzende des Komitees für Politik und Public Health der der European Association for the Study of the Liver (EASL) betont. Ein Großteil der Fälle sei unvollständig dokumentiert. „Wir brauchen eine gute Datenqualität“. Einige Informationen seien allerdings auch schwer zu erfassen. So sieht sie etwa auch die Notwendigkeit für detaillierte Studien zur immunologischen Reaktion sowie genetische Studien, um Prädispositionen der Kinder zu ermitteln.
Insgesamt gibt es nach letzten Angaben der WHO 894 Verdachtsfälle (Stand: 20. Juni 2022) von schweren Lebererkrankungen bei Kindern weltweit. 52 Prozent der Erkrankten stammen aus Europa. Mit 262 Hepatitisfällen ist das Vereinigte Königreich am stärksten betroffen. Die Zahl steigt stetig und inkludiert ebenso retrospektive Fälle. Die meisten Fälle stammen aus dem Vereinigten Königreich, die zweithöchste Zahl aus den USA. Bei 44 Kindern (5 Prozent) war die Erkrankung so schwerwiegend, dass eine Lebertransplantation nötig war. Es gab zudem 18 Todesfälle. 75 Prozent der betroffenen Kinder waren jünger als 5 Jahre. Die jüngeren Kinder hatten zudem auch tendenziell schwerere Verläufe und benötigten öfter als die älteren einen Aufenthalt auf der Intensivstation oder benötigten eine Transplantation.
Bei der Ursachensuche wurden zuletzt Infektionen mit Corona oder Adenoviren in den Blick genommen. Mit 53 Prozent in Europa und 68 Prozent im Vereinigten Königreich wurde das Adenovirus am häufigsten bei den betroffenen Kindern nachgewiesen. Insgesamt war die Rate des Adenovirus in den jungen Altersgruppen am höchsten. Eine Corona-Infektion konnte dagegen bei rund zehn Prozent der Kinder - jeweils in Europa und den USA - nachgewiesen werden. Ein Wert, der allerdings angesichts der generellen Corona-Transmission in der Zeit, nicht ungewöhnlich ist.
Zudem gab es ein Großbritannien im Vergleich zu anderen Regionen einen deutlich höheren Anteil zirkulierender Adenoviren, offenbar zu einem Zeitpunkt, als die Masken fielen und dies zuließen, so Buti weiter.
Dass Covid-19-Impfstoffe hinter den Fällen stecken könnten, kann ebenfalls ausgeschlossen werden, da die überwiegende Mehrheit der Fälle Kinder betrifft, die zu jung sind, um die Impfung erhalten zu haben. Im Vereinigten Königreich treten die Fälle meist bei Kindern unter fünf Jahren auf. Die Krankheit verursacht häufig Symptome wie Übelkeit und Durchfall, gefolgt von Gelbsucht.
Schwere der Fälle besonders
Einige Ursachen konnten ausgeschlossen werden, darunter eine Infektion mit einem der fünf bekannten Hepatitisviren oder Toxine. Generell ist das Auftreten von Hepatitis bei Kindern nichts Neues. Es gebe jedes Jahr einige Fälle. „Es ist aber überraschend wie schwer die Hepatitis ist und dass sie die Leber befällt“, so Buti. In einem Ausmaß jedoch, wie sie seit dem Frühjahr vor allem in Großbritannien beobachtet worden war, sei das jedoch höchst ungewöhnlich.
Buti empfiehlt Mediziner:innen auf mögliche Anzeichen einer Hepatitis zu achten - insbesondere auf Gelbsucht, die sich durch eine Gelbfärbung des Augenweißes bemerkbar macht.
Die Schwere mancher Verläufe schließt auch die Vermutung aus, die momentane Fallhäufung sei auf eine allgemein höhere Aufmerksamkeit der Medizinwelt zurückzuführen, etwa als Folge der Pandemie. „Derart gravierende Erkrankungen und nötige Transplantationen wären ganz sicher auch früher nicht unbemerkt geblieben“, meinte kürzlich der Wiener Virologe Norbert Nowotny.
Die Vermutungen werden weiter im Rahmen von Studien und Analysen weiter überprüft, so Easterbrook. In einer laufenden Fall-Kontroll-Studie werde derzeit untersucht, welchen Anteil die Adenoviren tatsächlich haben könnten.
Erste Fälle der scheren Lebererkrankung bei Kindern wurden bereits vor 14 Monaten registriert, seit Jahresbeginn begannen sich die Berichte zu häufen-vor allem in Großbritannien. Anfang April meldeten die Briten der Weltgesundheitsorganisation WHO zehn Patientengeschichten, die im ersten Quartal dieses Jahres in Schottland erfasst worden waren. Erwartbar wären dort sonst sieben bis acht Fälle im gesamten Jahr.
Der internationale Leberkongress (ILC) findet vom 22. bis 26. Juni 2022 im ExCel London statt (2023 in Wien) und kann online mitverfolgt werden (Livestream nur mit Registrierung): Website, Twitter-Kanal, youtube-Kanal Der ILCwird jährlich von der European Association for the Study of the Liver (EASL) ausgerichtet und zieht wissenschaftliche und medizinische Experten aus der ganzen Welt an, die sich über die neuesten Erkenntnisse der Leberforschung informieren und klinische Erfahrungen austauschen... Für die diesjährige Ausgabe werden rund 6.000 Forscher, Ärzt:innen, politische Entscheidungsträger, Branchenführer und Journalisten aus etwa 120 Ländern erwartet. Die teilnehmenden Fachleute präsentieren, diskutieren und ziehen Schlussfolgerungen aus den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Forschungsergebnissen in der Hepatologie und arbeiten daran, die Behandlung und das Management von Lebererkrankungen in der klinischen Praxis zu verbessern.
Seit ihrer Gründung im Jahr 1966 ist diese gemeinnützige Organisation Europäische Vereinigung für das Studium der Leber (EASL) auf über 4.800 Mitglieder aus aller Welt angewachsen, darunter viele der führenden Hepatologen in Europa und darüber hinaus. Die EASL ist die führende Lebervereinigung in Europa, die sich zu einem bedeutenden europäischen Verband mit internationalem Einfluss entwickelt hat und eine beeindruckende Erfolgsbilanz bei der Förderung der Forschung auf dem Gebiet der Lebererkrankungen, der Unterstützung einer breiteren Ausbildung und der Förderung von Veränderungen in der europäischen Leberpolitik vorweisen kann.