Lockdown in Shanghai, Sicherheitsleute und Gesundheitspersonal bevölkern die sonst menschenleeren Straßen in Ganzkörper-Schutzanzügen mit Überschuhen, medizinischem Mund-Nasen-Schutz und Vollvisier, Einmalhandschuhen und zugeklebten Manschetten. Aber auch in Österreich gehört die Schutzausrüstung von Schutzkittel bis Schutzhaube mittlerweile oft zum Corona-Alltag. „Ich erlebe oft, dass Hygienemaßnahmen entweder gar nicht oder oft überzogen gemacht werden“, fasst Univ. Prof. Dr. Cornelia Lass-Flörl, Direktorin des Departments für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der Medizinischen Universität Innsbruck, ihre persönliche Erfahrung der letzten zwanzig Jahre als Spezialistin für Krankenhaushygiene zusammen: „Die Frage ist, welche Maßnahmen wann sinnvoll sind und warum?“
Gerade bei einer Ausbruchssituation wie der Corona-Pandemie werde, auch begründbar, an Schutzmaßnahmen „hochgefahren was gehe, doch oft bleiben Maßnahmen unhinterfragt bestehen, die aus hygienischer Sicht nicht immer erklärbar sind“, so die Expertin. Gerade beim Covid-Management gebe es große Herausforderungen für die Krankenhaushygiene, „für mich wäre auch hier eine personalisierte, das heißt risikoadaptierte Hygiene wünschenswert, das setzt aber voraus, dass man über die Übertragungswege der Infektion Bescheid weiß, evaluiert und Maßnahmen sinnvoll umsetzt.“
Zu viel Desinfektion für zu wenig Hände
Um zu verstehen, wann Utensilien wie Kittel, Haube und Schürze Sinn machen, muss man verstehen, wie kommt es eigentlich zur Infektion? Dabei gibt es prinzipiell drei Arten an Übertragungswegen durch Mikroben von außen: Als erstes die klassische Schmierinfektion, die direkt oder indirekt über Kontaktübertragung erfolgt. Als zweites die Tröpfchenübertragung über Sekrete, die beim Husten, Sprechen oder Niesen abgegeben werden, wobei „wir aus infektiologischer Sicht noch einmal unterteilen zwischen dem normalen Husten und Sprechen und Maßnahmen wie der Intubation, dem Absaugen oder der Bronchoskopie, wo über das normale Maß hinaus Tröpfchen freigesetzt werden. Es ist aber immer ein direkter Weg, Face to Face“, erklärt Lass-Flörl. Die dritte Form der Infektionsübertragung ist die sogenannte aerogene Übertragung über das Aerosol. Klassische Aerosole sind zum Beispiel Schimmelpilze in der Luft, die inhaliert werden.
Über den Übertragungsweg seien die Hygienemaßnahmen dann einfach abzuleiten, so die international renommierte Mikrobiologin. Eine der der einfachsten, sinnvollsten und effektivsten Maßnahmen gegen Schmierinfektionen ist die Händehygiene. „Auch wenn ich weiß, dass das für die Menschen ein total langweiliges Thema ist“, so Lass-Flörl mit einem Augenzwinkern, „wahrscheinlich ist die Händehygiene eine so billige Maßnahme, dass sie oft auch nicht diesen Stellenwert bekommt, den sie verdient. Generell habe ich das Gefühl, dass wir in Österreich zu viel Desinfektionsmittel für zu wenig Hände haben.“
Klinische Evidenz fehlt häufig
Denn hierzulande werde alles Mögliche an Flächen und Dingen desinfiziert, seit Ausbruch der Pandemie sind ganze Sparten an Firmen mit neuen Desinfektionsmaßnahmen und Produkten auf den Markt gekommen, „die medizinische oder gar klinische Evidenz fehlt aber sehr häufig“, unterstreicht die Fachärztin für Hygiene und medizinische Mikrobiologie: „Bei einer Tröpfcheninfektion, egal ob SARS-CoV-2 oder ein anderer Erreger, muss weder massiv Fläche desinfiziert werden, noch andere Barrieremaßnahmen geschaffen werden – hier könnte man viel hinterfragen, braucht es in der Impfstraße tatsächlich Gummistiefel oder zugeklebte Manschetten?“ Wichtig sei der Mund-Nasen-Schutz verbunden mit einer guten Händehygiene: „Der Mediziner versteht unter einer Tröpfcheninfektion „Face to Face“, der chirurgische Mund-Nasen-Schutz hat dabei eine gute Wirksamkeit, wird aber relativ schnell feucht und muss entsorgt werden, dabei muss eine Kontamination durch die Hände vermieden werden.“ FFP-Masken haben eine höhere Filterleistung und Tragedauer, sie werden vor allem eingesetzt wenn ein Gemisch von Tröpfchen und Aerosol entsteht, wie es beim Absaugen oder Intubieren von Patient:innen der Fall ist.
Handschuhe dienen ausschließlich dem Selbstschutz, schützen vor grober Kontamination, reduzieren die Erregerlast, insbesondere auch wenn ein Handschuh undicht sein sollte, und vereinfachen die nachfolgende Handdesinfektion. „Handschuhe suggerieren aber häufig auch falsche Sicherheit und oftmals wird durch das Tragen die Handdesinfektion erst recht vernachlässigt. Auch muss man die Tragedauer der Einmalhandschuhe beachten und sie maximal zweimal desinfizieren, weil der Alkohol die Handschuhe angreift“, gibt Lass-Flörl zu bedenken, „bei einer Mikrobe wie SARS-CoV-2, die als Tröpfchen bzw. aerogen übertragen werden kann, ist es aus krankenhaushygienischer Sicht nicht ganz erklärbar, warum man drei Paar Handschuhe anzieht. Wenn ich ein Chirurg bin und mein Patient hat HBV oder HIV, dann macht das Sinn, aber wenn eine Infektion aerogen ist, dann kann ich, vereinfacht gesagt, Handschuhe anziehen wieviel ich will.“
Kritisch hinterfragen
Schutzhauben wiederum werden zum Schutz der Patient:innen und weniger zum Selbstschutz getragen, „etwa bei Operationen, weil wir verhindern wollen, dass Haare oder Hautschuppen das Operationsgebiet kontaminieren“, stellt Lass-Flörl klar: „Aber die Haube per se hat eine recht niedere Wertigkeit in der klassischen Infektionsprävention.“ Auch Schutzkittel werden bei etwa immunsupprimierten Patient:innen verwendet, um möglichst wenig Keime an sie heranzutragen. Darüber hinaus soll der Schutzkittel die Kontamination der Arbeitskleidung vermeiden, gibt die Expertin zu bedenken, „das heißt wir tragen das, damit wir nicht mit Blut, Stuhl, Urin oder Waschwasser kontaminiert werden. Ob bei der Behandlung von Covid-Patient:innen doppelt langärmlig und Plastik drüber eine Infektion verhindert, müsste man ganz massiv hinterfragen.“
Auch Überschuhe und Seuchenteppiche, die derzeit im Einsatz sind, geben laut Lass-Flörl eine falsche Sicherheit: „Sie suggerieren Sauberkeit, weil man keinen Dreck hereinbringt, sie spielen in der Infektionsprävention aber eigentlich keine Rolle.“ Schutzbrillen und Vollvisiere wiederum schützen nur denjenigen, der massiv exponiert ist, etwa wenn beim Absaugen von Sekreten mit Verspritzen von potentiell infektiösem Material gerechnet werden muss. Und während die Flächendesinfektion bei der Kontamination durch Verspritzen durchaus eine Rolle spielt, braucht es auch hier eine bessere Problemerkennung, so die Expertin für Krankenhaushygiene: „Man muss auch zulassen zu sagen, der Fußboden zum Beispiel in der Infektionsübertragung de facto keine Wertigkeit hat; dann sind wir schon bei der Sinnfrage nach Flächendesinfektion und Überschuhen angelangt. Hier muss man fragen, warum macht man das überhaupt? Oder warum desinfizieren wir Essenswägen außerhalb der Routine bevor sie auf die Covid-Station kommen? Das alles bindet ja auch sehr viel Personal.“
Vom Übertragungsweg zur wirksamen Schutzmaßnahme
Natürlich brauche es bei Ausbruchssituationen spezifische Maßnahmen, trotzdem stellt Lass-Flörl klar: „Infektionskrankheiten werden über verschiedene Wege übertragen und der Übertragungsweg entscheidet über die Wahl der wirksamen Schutzmaßnahmen. Unkenntnisse über spezifische Übertragungswege können nicht nur Ressourcen verschwenden, sondern auch Personal und Patient:innen gefährden. Wenn wir die drei Arten an Infektionsübertragungen verinnerlichen, wird auch relativ rasch klar, wann wir Utensilien wie Handschuhe, Überschuhe und Haube brauchen.“
Wünschenswert wäre für die Institutsleiterin der Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der Medizinischen Universität Innsbruck eine reflektierte und risikoadaptierte Hygiene, „das setzt aber voraus, dass man über die Infektionsübertragung Bescheid weiß und pro Patient:in evaluiert. Wir haben hier massiven Aufklärungsbedarf, und es muss uns gelingen, die Angst davor zu nehmen.“
Der „Giftige Dienstag“ ist eine Veranstaltungsreihe des Fortbildungsreferats der Ärztekammer für Wien. Univ. Prof. Dr. Cornelia Lass-Flörl, Direktorin des Departments für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der Medizinischen Universität Innsbruck, hielt im Rahmen des „Gifitgen Dienstags“ einen Vortrag zum Thema „Wann brauchen wir Haube, Maske oder Handschuhe?“.