Medizinstudium

Tirols Ärztechef für „Umtauschprogramm" bei Studierenden

In der Debatte um Numerus-Clausus-„Flüchtlinge“ aus Deutschland beim Medizinstudium in Österreich wartet der Tiroler Ärztekammerpräsident Stefan Kastner mit einem ungewöhnlichen Vorschlag auf: Er schlage ein „Umtausch- oder Austauschprogramm“ vor, anhand dessen in Österreich studierende Deutsche und in Deutschland studierende Österreicher wechselseitig während des Studiums wieder zurückgeholt werden, sagte Kastner.

red/Agenturen

Der Tiroler Ärztekammerpräsident spielte mit seinem Vorschlag, mit dem auch dem Ärztemangel etwas entgegengesetzt werden könnte, auf jene österreichischen Studierenden an, die hierzulande den Medizinertest nicht bestehen, in Deutschland aber den Numerus-Clausus erfüllen und dort zu studieren beginnen: „Das sind nicht wenige. Die holen wir derzeit nicht zurück, obwohl sicher eine Mehrheit lieber hier studieren würde.“ Auf der buchstäblich „anderen Seite“ gelte dies auch für jene heiß diskutierten deutschen Numerus-Clausus-„Flüchtlinge“, die hierher kommen und in Österreich die Hürde für den Zugang zum Studium meistern.

Das „Umtauschprogramm“ solle am besten „ab der Vergabe des Studiums“, also gleich zu Beginn, greifen. „Nehmen wir den Tiroler, der in Essen studiert oder die Deutsche, die in Innsbruck ihr Studium beginnt. Diese könnten dann gleich wieder die Plätze tauschen, wenn sie das wollen. EDV-mäßig dürfte das ein Leichtes sein. Es sollte Plattformen geben, bei denen sich die Studierenden melden können. Oder gegenseitige Austauschangebote. Wir müssen die Chance nützen, Leute schon zu Beginn des Studiums oder während des Studiums zurückzuholen“, erklärte Kastner.

Denn es liege auf der Hand, dass jene, die in ihrem Heimatland Medizin studieren, nach Beendigung des Studiums eher in ebendiesem bleiben und als Ärzt:innen arbeiten als solche, die aus einem anderen Staat kommen. Diese Vorgangsweise sollte angedacht werden, meinte der Tiroler Ärztekammerchef: „Wir sind um jeden Arzt froh. Wir müssen um jeden kämpfen.“ Mit dem Vorstoß von Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), Zulassungsbeschränkungen für Numerus-Clausus-„Flüchtlinge“ aus Deutschland anzuwenden und diesen auf diese Weise einen Riegel vorzuschieben, kann Kastner hingegen nicht viel anfangen. Er glaube nicht, dass das „juristisch so lösbar ist.“

„Zu viele Player“

Hinsichtlich des offenbar grassierenden Ärztemangels wies der Ärztekammerpräsident auf ein seines Erachtens zentrales Problem hin: „Wir holen zu wenige angehende Ärzt:innen von den Universitäten ab. Die Krankenhausbetreiber bieten zu wenige Ausbildungsstellen an.“ Hier brauche es stärkeren politischen Druck sowie eine entsprechende Finanzierung.

An eine Gesundheitsreform mit notwendigen, tiefgreifenden, strukturellen Änderungen glaubte Kastner nicht mehr. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) sei offenbar „gescheitert“. Wobei der Minister schon auch recht habe, dass im Gesundheitsbereich in Österreich angesichts „zu vieler Player“ - Länder, Sozialversicherung, Gemeinden, „ja auch Ärztekammer“ - eine Strukturreform schwierig umzusetzen sei.

Bei den zuletzt vorgestellten Maßnahmen wie 100 neuen Kassenarztstellen bis Jahresende handle es sich in erster Linie um „Ankündigungspolitik“ und „wirklich einen Tropfen auf dem heißen Stein.“ Da man jetzt schon viele Kassenstellen unbesetzt habe, „werden 100 zusätzlich wahrscheinlich nicht viel bringen.“ „2013 hat die damalige Regierung die 'Zielsteuerung Gesundheit' ins Leben gerufen. Die Patient:innen sollten dorthin gebracht werden, wo sie am besten und effizientesten betreut werden können. Davon sind wir mittlerweile weiter entfernt als damals“, zog Kastner eine ernüchternde Bilanz.

„Einheitlicher Leistungs- und Honorarkatalog“

Kastner sah viele Baustellen. Zum einen brauche es eine Attraktivierung von Kassenarztpraxen. Es benötige in diesem Bereich endlich einen „vernünftigen, einheitlichen Leistungs- und Honorarkatalog, bei dem auch die Gesprächsmedizin ausreichend berücksichtigt wird“: „Die Kassenmedizin muss lukrativ werden“. Und man müsse eben endlich die Patient:innen „zu steuern anfangen“. „Wir haben die Patient:innen an den falschen Stellen. Das ist für die Patient:innen frustrierend, und auch für die Ärzt:innen sowie das Gesundheitspersonal.“

Es herrsche ein „Tohuwabohu“, man wisse nicht, „wo Patient:innen gerade aufschlagen. Und seit Einführung der E-Card können sie überall aufschlagen“. Viel zu viele würden aufgrund fehlender Steuerung nach wie vor in die Spitäler strömen anstatt in den niedergelassenen Bereich, obwohl dies aus medizinischer Sicht gar nicht notwendig sei. „Es geht darum, den Patienten rasch, gut und trotzdem günstig zu behandeln, Es braucht endlich eine Steuerung“, appellierte Kastner.

„Die Krankenhäuser müssen entrümpelt und entlastet werden“, verlangte er zudem. Eine Strukturänderung, die dies herbeiführen könnte, wäre zum Beispiel die „Finanzierung von ambulantem Spitalsbereich und niedergelassenem Bereich aus einer Hand.“ Damit hätte man die „Problematik weg, dass ein Patient für die Kasse günstiger ist, wenn er in eine Spitalsambulanz geht.“ Das würde aber auch bedeuten, dass die gesamte Bezahlung und Abrechnung über die Gesundheitskasse laufe und die Bundesländer damit in ihrer Macht eingeschränkt würden. „Es würde aber vielleicht für die Kasse lukrativer sein, mehr Kassenstellen aufzubauen, die man auch besser finanziert, damit sie diese Dinge stemmen können.“

„Braucht einheitliches EDV-System“

Auch sollte man sich an anderen Staaten ein Vorbild nehmen, was die Verteilung des Leistungsangebotes betrifft: Chemo- und Strahlentherapien würden in Deutschland beispielsweise im niedergelassenen Bereich effizient angeboten. Dies wäre wohl auch „feiner und angenehmer für Patienten, etwa eine Chemotherapie in einem Ambulatorium oder in einer spezialisierten Ordination durchführen zu können.“ Auch Vorsorgeuntersuchungen, etwa im Bereich der Darmspiegelungen, wären ein solches Feld: „Es geht darum neue Wege zu gehen. Man muss sich überlegen: Wo ist es sinnvoll, ein medizinisches Angebot effizient außerhalb der Krankenhäuser zu legen.“

Eklatanten Nachholbedarf ortete Kastner auch im Bereich der Digitalisierung. Die elektronische Gesundheitsakte ELGA nannte er einen „alten Gaul, mit zu vielen Löchern“, die Ärzt:innen und das sonstige Personal nur zu oft quasi von der eigentlichen Arbeit abhalte - mit zu vielen notwendigen Klicks und zu viel Bürokratie. „Es braucht ein ganzheitliches, modernes EDV-System“, forderte der Tiroler Ärztekammerchef denn: „Es ist oft mühsamer elektronisch etwas einzutragen, als handschriftlich in eine Kurve.“ Die von Gesundheitsminister Rauch avisierte, verpflichtende Diagnosecodierung im niedergelassenen Bereich, begrüßte Kastner indes.